F60 und Klima

Wann fängt eigentlich der Herbst an? Oder fällt er in diesem Jahr aus? Es ist Mitte Oktober und ich laufe immer noch mit kurzer Hose und T-Shirt bekleidet durch die Gegend. Nicht, dass es mir unangenehm wäre, aber ich erinnere mich daran, dass es in der Vergangenheit anders war. Ich hatte zu dieser Jahreszeit schon längst meine Rollis und dicken Sweater aus dem Schrank geholt, meine Handschuhe zum Biken bereit gelegt und war tagtäglich in Beinkleidern unterwegs, die Oberschenkel, Knie und Waden bedeckten.
Nur eine kleine Klimakapriole sagen die Leute von der AfD. Die ‚allwissende‘ Beatrix von Storch sagte zum Thema Erderwärmung am 31. Juli in einem Tweet: „Ja. Es ist warm. Sehr sogar. Aber dieses hysterische Klimakrisen-Gekreische der Klimanazis ist wirklich unerträglich. Auch wenn wir alle zu Fuß gehen, statt Autos zu bauen nun alle Gendergagaisten werden u nur noch Brokkoli essen: der Sonne ist das egal.“ Über den Sprachstil dieser kreischenden, überreizten Person könnte man natürlich nachsinnen. Ich könnte besonders herausstellen, dass das Wort Nazis eine bestimmte Definition hat und in diesem Kontext nicht zu gebrauchen ist, dass Gender nichts mit Klimawandel zu tun hat, dass nicht Autos zu bauen, sondern Autos zu benutzen einen Einfluss auf die Erwärmung der Welt hat und dass der gesamte Tweet nur vor lauter Geifer so trieft.
Die wichtigste Aussage des Tweets, neben der Giftschleuderei, soll wohl sein, dass es die Sonne ist, die die Temperaturen steigen lässt. Potzblitz. Dies ist ein Erfahrungshorizont, eine Intelligenzhöhe, die jedes Schwein hat, wenn es sich nach einem Schlammbad zum Trocknen in die Sonne legt.
Menschen unterscheiden sich dadurch von Tieren, dass sie bestimmte Dinge hinterfragen können, sich Infos besorgen. In diesem Fall könnte es zum Beispiel sein: Warum steigen die Temperaturen? Sie könnten im Internet Informationen finden, die besagen, dass die globale Mitteltemperatur in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich ansteigt. Und Sie könnten sich fragen, welche Einflüsse diesen Temperaturanstieg begünstigen?
Es gibt viele Faktoren, die den Klimawandel unterstützen. Allgemein anerkannt ist der CO2-Ausstoß. In Deutschland sind es die Braunkohlekraftwerke, die die Hauptemittenten von CO2 sind. Von daher ist es nur vernünftig, dass diese in den nächsten Jahren stillgelegt werden sollen. Einhergehend ist die Einstellung des Tagebaus im Westen und im Osten Deutschlands. Was mich bei diesem Thema verwundert, ist die unterschiedliche Resonanz auf solche Mitteilungen, auf solche Beschlüsse. Während im Westen die Reduzierung oder die Einstellung des Tagebaus mehrheitlich positiv unterstützt wird, sieht man die Abkehr vom Tagebau im Osten eher skeptisch. Im Westen sind es die sinkenden CO2-Emissionen, das Unverständnis über die Zerstörung von Wäldern und Umsiedlung von Ortschaften und die damit einhergehenden Zerstörung der sozialen Strukturen einer Ortschaft, die als wichtige Punkte erachtet werden. Im Osten sieht man eher die verschwindenden Arbeitsplätze und die damit wegfallende wirtschaftliche Grundlage der Regionen. Arbeitsplätze fallen sowohl im Osten, als auch im Westen weg. Warum wird aber trotzdem dies im Osten so stark hervorgehoben.
Ich denke es hängt mit der Art und Weise zusammen, wie die beiden Länder DDR und BRD vereinigt wurden. Es war keine Vereinigung. Schon das vertragliche Dokument, der Einigungsvertrag, macht das deutlich. Er regelt die Auflösung der DDR und ihren Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland. Und wenn man irgendwo beitritt, muss man sich an die herrschenden Gegebenheiten anpassen. Hier wird nichts gemischt, hier hat man nicht den Eindruck, dass wesentliche Elemente aus DDR-Zeiten in die BRD übernommen wurden. In den nachfolgenden Jahren wurde nichts entwickelt, hier wurde abgewickelt. Hier wurde, wie sagt man so schön im Unternehmerberaterjargon, ‚Humankapital freigestellt‘. Hier wurde nicht das genommen, was vorhanden war und weiterentwickelt, hier wurde übergestülpt. Klar, viele der neuen ‚BRD-Bürger‘ genossen den neuen Lebensstil, viele fielen aber auch zurück. Und es blieb die Einsicht, dass ein Absturz jederzeit möglich ist, dass alte Werte nichts mehr taugen, dass ihre Erfahrungen nichts mehr wert sind, dass Geld die Welt regiert.
Und genau das ist es, was ich bei Gesprächen mit ‚alten DDR-Bürgern‘ auch immer bemerke. Sie fühlen sich ihrer alten Identität beraubt, ihre Tätigkeiten in der DDR werden nicht wertgeschätzt. Jahrzehntelang war der Tagebau ein Vorzeigebetrieb in der DDR, er war mit einem bestimmten Prestige verbunden. Was bleibt jetzt davon? Nichts. Der Tagebau als Synonym für veraltete Technik, für Dreckschleudern, für etwas, was weg muss. Dazu kommt, dass parallel keine Zukunft für die Regionen geplant wird, keine Visionen entstehen. Fest steht der Abbau. Was danach kommt, ist ein großes Fragezeichen.
Sinn und Zweck von Politik ist es auch zu erklären, Visionen zu gestalten, Menschen mitzunehmen. Andererseits kann man aber auch von Menschen verlangen, sich auf veränderte Lebensumstände einzustellen und nicht in Starre zu verharren. Es gibt anscheinend viel zu tun, auf beiden Seiten. Packen wir es an.
Was hätte Onkel August, der verstorbene Gatte von Tante Trude, zu dieser Situation gesagt: „Es gibt mehr Leute, die kapitulieren, als Leute, die scheitern.“

Und zum Schluss noch ein Hinweis an Frau von Storch. Fragen Sie doch Ihren Onkel Hans von Storch bezüglich des Klimawandels. Der war Direktor am Institut für Küstenforschung des Helmholtz Zentrums in Geesthacht bei Hamburg und zugleich Professor an der Universität Hamburg. Seine Spezialgebiete sind/waren Klimastatistik und die Simulation des Klimawandels. Vielleicht kann er Ihnen ja helfen die ideologische Haltung zum Klimawandel (Klimawandel kann nicht sein, weil Klimawandel nicht sein darf) in eine wissenschaftlich fundierte zu verwandeln. Es gab auch ein lesenswertes Interview im Spiegel. Suchbegriffe über Suchmaschine: von storch verwandt klimaforscher

Zum Bild: Abraumförderbrücke im stillgelegten Tagebau, Besucherbergwerk F60, 03238 Lichterfeld

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