Ich bin ein Zapper geworden

Wenn ich abends vor dem Fernseher hänge und ich die Macht über die Kanäle innehabe, ertönt es immer häufiger von meiner Seite, ob ich mich denn nun endlich mal entscheiden könne. Mir fällt es gar nicht so richtig auf. Manchmal höre ich mich sagen: ‚Och neehe, das nicht.‘ und dann Zapp oder ‚DAS auf keinen Fall‘ und Zapp oder ‚Nicht schon wieder‘ und Zapp oder ‚Gute Güte‘ und Zapp (Das scheine ich häufiger zu äußern, meine Gattin hat mir schon eine Tasse mit entsprechender Einprägung geschenkt) und Zapp und Zapp und Zapp. Und immer häufiger bleibe ich dann bei Dokumentationen von Tieren, Landschaften, Ländern,…. hängen. Früher, in meiner Kindheit, habe ich solche Sendungen als nurfürdiealtenundfurchtbarlangweilig bezeichnet. Wenn sich meine Eltern für eine Dokumentation im dritten Kanal (Es gab damals nur drei Kanäle. Und das Dritte war per se der Alte-Leute-Sender) über die Flora und Fauna des Zillertals oder die Schriftarten des Mittelalters oder Klöppeln in allen Lebenslagen entschieden, wusste ich, dass ich einen spaßbefreiten Abend vor mir hatte. Heute erscheinen sie mir als die einzig noch sehbaren Sendungen. Ich könnte eventuell sogar einer achtstündigen Aufnahme aus einer fahrenden Lok einer Bimmelbahn auf der Fahrt von Essen nach Quedlinburg in Sachsen-Anhalt etwas abgewinnen. So was gab es früher tatsächlich mal im Nachtprogramm. Liegt die Veränderung meines Sehverhaltens an meinem Alter oder an dem fortschreitenden Qualitätsverlust oder an einer Popularisierung der Sendungen?

Was Fakt ist, ich bin nun mal in einem fortgeschrittenem Alter. (MiddleAger nennt man sowas heutzutage. Auch eine schöne Wortschöpfung um nicht sagen zu müssen, dass man alt ist). Es ist einfach nun mal so, dass ich immer mehr Wiederholungen auf der Flimmerkiste (auch so ein Wort, das die Newager nicht mehr verstehen) zu sehen bekomme. Manche Filme habe ich schon so häufig gesehen, dass ich die Dialoge mitsprechen kann: ‚Aber doch nicht um diese Uhrzeit‘. Aber es ist nicht nur das.
Die Privaten bieten ein Niveau, welches unterirdisch ist. Man muss sich nur einmal die Titel und die Beschreibungen der Sendungen anschauen. Ein Beispiel: RTL, nachmittags, ‚Meine Geschichte, mein Leben‘. Eine Scripted Doku-Soap. Originalbeschreibung von RTL, Namen der Betreiligten dem Niveau der Sendung angepasst: ‚Angestellte Schakelin gerät mit der Chefsekretärin aneinander. Offenbar ist der die hübsche Schakelin ein Dorn im Auge. Derweil vertraut sich ein Hotelgast der Barkeeperin Schantall an und gesteht ihr, dass er seine Frau mit einer anderen betrogen hat. Außerdem setzt Schantall das Gerücht in die Welt, dass Ursula und der Chef eine Affäre hatten. Schantalls großes Mundwerk wird ihr zum Verhängnis, als das Gerücht bis in die Chefetage dringt.‘   Na, wenn das mal nicht interessant wird. Ich muss die Schuhe ausziehen, denn mir kräuseln sich schon beim Lesen die Fußnägel, meine Hände verkrampfen, mein Gesicht verzieht sich zu einer Grimasse. Außerdem, was ist eine Scripted Doku-Soap? Eine Dokumentation-Seifenoper? HäääH? Etwas was nicht passiert ist, aber vielleicht genauso passieren könnte? Doku und Soap schließen sich aus. Ich habe es versucht, wirklich versucht, mir das anzutun. Ich bin gescheitert. Wer sieht sich so etwas an? Wer hält es länger als fünf Minuten aus? Verstärkt wird diese Wirkung noch durch die Qualität des Schauspiels. Meine Darstellung des schielenden Löwen Clarence (Daktari. Kennen die jungen Leute auch nicht mehr, genauso wie das Wählscheibentelefon. Mann, bin ich alt), die ich im zarten Alter von sechs Jahren vollbracht habe, ist besser gewesen. Die Verblödung der Welt wird hier forciert. Weiteres Beispiel: Pro 7, Big irgendwer (Name kann ich und will ich mir nicht merken) sucht und findet das größte Wienerschnitzel Deutschlands. 4,5 kg für 3,75€. Ja, die Beschreibung ist übertrieben und stimmt nicht exakt.  Aber keiner würde sich über die Beschreibung wundern. Ich hoffe, dass sich die Programmmacher bei den Privaten keine Gedanken darüber machen, was sie dort produzieren und ausstrahlen. Aber ich vermute, dass es ihnen bewusst ist und sie auf die Verblödung der Gesellschaft hinarbeiten. Und wenn ich dann höre, dass die AfD auf die Abschaffung des gebührenfinanzierten Fernsehens drängt und es dann nur noch so einen Mist gibt, hoffe ich inständig, dass es noch genügend Menschen in diesem Lande gibt, die sich dem entgegenstellen. Ich tue es ganz gewiss.

Doch bei den öffentlichen Sendern ist auch nicht alles beim Besten. Selbst meine Gattin schaltet beim Politbarometer des ZDF um, weil sie mein Gebaren, mein Leiden nicht mehr ertragen kann. Die Sonntagsfrage, was soll das? (Tante Trude fragt dann immer, wo denn jetzt schon wieder gewählt wird). Damit Politiker ihre Meinungs- oder Handlungsfähnlein schnell in den Wind drehen können? Oder die Servicesendungen. Wenn ich schon ‚Das nennen wir den Oma-Trick‘ oder ‚Das nennen wird den WiSo-Trick‘ höre,…. Oder, die neueste Sendung der ARD, ‚Der beste Deal‘. Themenbeispiele gefällig: Schönheits-OPs zum Schnäppchen-Preis?! HäääH? Nee, schon klar. Es könnte ja eine Klinik geben, die eine korrekt ausgeführte Rundumerneuerung für 19,95 € macht. Die wesentliche Frage, ob und wann so etwas von Nöten ist, wird nicht thematisiert. Noch ein Beispiel: Ferienwohnungen, übers Internet gebucht. Fazit der Sendung: Man kann sich nicht sicher sein, ob im Internet die Wohnung realistisch dargestellt wird. Noch mal HäääH? Für wie blöd halten die Macher uns Verbraucher. ‚Sischerlisch. Alles was im Internet zu finden ist, ist wahr.‘ Glauben die wirklich, dass die Zuschauer nicht in der Lage sind, selbstständig zu denken.

Bei einer Katastrophe reagieren alle gleich. Egal ob Zugunglück, Terroranschlag oder Hochwasser, es ist die Stunde der umfassenden, aktuellen Reportage. Alle zehn Minuten muss ein Reporter sich vor die Kamera stellen und so tun als ob in den letzten zehn Minuten wieder etwas ganz Großes, Wichtiges passiert wäre, als ob in den letzten zehn Minuten große Entscheidungen getroffen wurden. Und da stehen sie da, die armen Hanseln und saugen sich den immer gleichen Redebeitrag aus ihren wund geworden Wangen: ‚Ich habe gerade auf den Wasserstandsanzeiger geschaut und er hat sich nicht bewegt. Dann kam aber hier in die ganze Sache Bewegung und Frau Kalupcke ist durch die Fluten getragen worden. Sie trug außer ihrer grünen Handtasche noch ihren Hamster. Ich konnte in Erfahrung bringen, dass dieser Adam heißt‘. Ungläubiges Staunen auf allen Seiten. Im Studio tummeln sich die Spezialisten-Experten, die obwohl sie noch keine Hintergrundinformationen haben, die ganze Sache erklären. Danke aber auch.

Trotz meiner Kritik an den öffentlichen Sendern bin ich froh, dass es sie gibt. Recherchearbeit verkommt, bis auf wenige Ausnahmen, hier nicht zu einem Was-wollen-die-Leute-sehen, zu einem Meinungs-Nachgelabbere. Probleme werden hier tatsächlich mal aufgeführt und objektiv beleuchtet, die Macher hinterfragen sich und ihre Arbeit kritisch und für Tante Trude gibt es immer noch Samstagabendsendungen, die Sie gerne schaut. Was mein Verhalten angeht? Ich zappe weiter oder schaue weniger fern. Wie sagte der verstorbene Gatte von Tante Trude, Onkel August immer: ‚Erst schauen, dann gucken‘.

 

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